Gesetzesnovelle soll schnelles Internet für alle bringen
Die Bundesregierung schafft erstmals ein Recht hinauf verdongeln schnellen Internetanschluss. Eine Umlage zu Gunsten von Mieter soll den Glasfaserausbau in Städten beschleunigen.
c’t Magazin Von
- Urs Mansmann
Das schon seit vielen Jahren diskutierte Recht auf einen schnellen Internetanschluss ist endlich in Gesetzesform gegossen. Die jüngste Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) verankert erstmals das Recht eines jeden Haushalts in Deutschland auf einen schnellen Internetanschluss. Der Bundestag hat das Gesetz am 22. April verabschiedet und auch der Bundesrat hat bereits zugestimmt.
Eine bindende Vorgabe für die Qualität der Anschlüsse enthält das Gesetz nicht, sondern es orientiert sich dynamisch am bereits bestehenden Breitbandausbau. Das auch für Datenautobahnen zuständige Verkehrsministerium soll Vorgaben machen und jährlich überprüfen, ob sie noch zeitgemäß sind. Orientieren soll es sich dabei an der "von mindestens 80 Prozent der Verbraucher im Bundesgebiet genutzten Mindestbandbreite, Uploadrate und Latenz".
Damit erfüllt Deutschland gerade so eben die Vorgaben der EU, nach denen E-Mails, Anrufe und Video-Calls in Standardqualität, die Nutzung sozialer Medien, Informationssuchen, Online-Bestellungen, Online-Banking und elektronische Behördendienste möglich sein müssen.
Niedrige Anforderungen
Die Orientierung an der genutzten Mindestbandbreite legt die Latte niedrig, denn viele Kunden nutzen nur einen Teil der am Anschluss verfügbaren Bandbreite, etwa aus Kostengründen oder weil sie einen funktionierenden Anschluss nicht mehr anfassen möchten. Immerhin ist in der Begründung die Rede von mindestens 30 MBit/s, was für Videokonferenzen mehr als ausreichend ist – sofern der bei den meisten Techniken deutlich langsamere Upstream nicht zu mager ausfällt.
Abzuwarten bleibt, wer den Ausbau dann tatsächlich leisten wird. Klar ist bislang nur, wer die Mehrkosten zahlt, wenn Anschlüsse so teuer sind, dass sie sich wirtschaftlich nicht rechnen: Dafür gibt es einen Topf, in den die Netzbetreiber einzahlen. Diese legen diese Kosten naturgemäß wieder auf ihre Kunden um. Mittel- und langfristig könnte der flächendeckende Ausbau also zu höheren Preisen führen.
Allerdings tragen die Netzbetreiber die Kosten nicht alleine, denn sogenannte Over-the-Top-Anbieter (OTA), also Telefonieanbieter ohne eigene Netzinfrastruktur wie WhatsApp, Skype oder Signal können ebenfalls zur Kasse gebeten werden. Nicht treffen wird es jedoch die wirtschaftlich potenten Streamingdienste, obwohl diese auf die schnellen Leitungen in besonderem Maße angewiesen sind und als Treiber für die Nachfrage wirken. Weil sie keine OTA sind, können sie rechtlich nicht herangezogen werden.
Der Breitbandausbau in Deutschland steht und fällt mit dem Verlegen von Glasfaseranschlüssen.
Glasfaser in Wohnblöcken
Der Ausbau soll nicht nur die weißen Flecken in vorwiegend ländlichen Gebieten erreichen. Auch in den Städten soll die Infrastruktur modernisiert werden. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber eine Bastion geschleift, die noch aus den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammt und damals den Ausbau der Kabelfernsehnetze beschleunigen sollte: Das sogenannte Nebenkostenprivileg läuft am 30. Juni 2024 aus. Von diesem Zeitpunkt an können die Kosten für Kabelanschlüsse in Mehrfamilienhäusern nicht mehr per Umlage an Wohnungsmieter weitergereicht werden. Mieter können künftig also auf den Kabelanschluss verzichten. Bislang müssen sie zahlen – ob sie den Anschluss gebrauchen können oder nicht.
Die Neuregelung der Umlage soll einen Anreiz für Hauseigentümer schaffen, möglichst rasch moderne Glasfaserinfrastruktur in die Wohnungen zu legen, über die schnelle Gigabit-Anschlüsse möglich sind, die in Zukunft bei Bedarf noch viel höhere Datenraten liefern können.
Höhere Kosten für Mieter?
Die Mieter profitieren von schnellen, zuverlässigen Internetanbindungen, für die Vermieter erhöht sich der Wert der Immobilie. Bis zu 5 Euro im Monat können die Vermieter künftig über die Nebenkosten abrechnen, wenn sie im Gegenzug einen Glasfaseranschluss bis in die Wohnung liefern. Die Glasfaseranschlüsse sollen sich fünf bis neun Jahre lang umlegen lassen, die Regelung gilt bis Ende 2027.
Anders als bei der bisherigen Nebenkostenregelung ist der Dienst über dieses Kabel allerdings nicht enthalten, der Mieter zahlt also für die nackte Glasfaser. Will er darüber beispielsweise Internet oder Linearfernsehen beziehen, muss er einen zusätzlichen Dienstleistungsvertrag abschließen und bezahlen. Wer weiterhin Kabelfernsehen beziehen will, muss dafür künftig wahrscheinlich mehr bezahlen, weil Mengenrabatte wegfallen und die Glasfaserumlage noch obendrauf kommt. Eine Entlastung sollten Mieter unterm Strich also nicht erwarten.
Keine Begeisterung
Der Breitbandverband ANGA ist von dem Vorstoß nicht begeistert und warnt, dass es für Mieter künftig teurer werde. Statt eines Gesamtpakets Kabelfernsehen inklusive aller Kosten müssten sie für das Fernsehen künftig separat bezahlen. Zusätzlich zu den 72 Euro für den Glasfaserausbau könnten sich die Kosten fürs Kabelfernsehen durch den Wegfall des Mengenrabatts mehr als verdoppeln.
Und auch das Recht auf einen schnellen Internetanschluss stößt bei den Branchenverbänden auf Ablehnung. Die neuen Vorgaben führten zu mehr Bürokratie und weniger Wettbewerb, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. Der Ausbau werde verteuert und verlangsamt, es handle sich mithin um ein "Breitbandverhinderungsgesetz".
Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sieht die Änderungen kritisch. "Mehr als politische Placebos wurden nicht beschlossen", urteilt Lina Ehrig, Leiterin des Bereichs Digitales und Medien. Der Verband bemängelt, dass eine konkrete Definition fehle und dass sich dadurch die tatsächliche Umsetzung einer angemessenen, flächendeckenden Breitband-Grundversorgung immer weiter nach hinten verschiebe.
Meinung: Zu wenig, zu spät
Deutschland ist bei der Digitalisierung gnadenlos abgehängt. Bei Glasfaseranschlüssen steht das vermeintliche High-Tech-Land im EU-Vergleich schon immer auf einem der letzten Plätze in den Rankings. Spätestens mit der Coronapandemie ist das den Bürgern auf die Füße gefallen.
Dass Homeoffice immer noch vielerorts an maroden Leitungen und fehlendem Mobilfunkausbau scheitert, dass Schulserver nicht erreichbar sind, dass in den Gesundheitsämtern die Analogfaxe rattern und dass Impfzentren pro Tag Dutzende Aktenordner mit Ausdrucken füllen, macht allen Beteiligten das Leben schwer – über 20 Jahre nach den ersten DSL-Anschlüssen.
Der Rechtsanspruch auf den schnellen Internetanschluss kommt zu spät und ist auch wieder nur halbherzig. Die Anforderungen an die Anbieter legen die Latte wieder einmal so niedrig, wie es EU-Recht gerade noch zulässt. Auch jetzt liegt der Fokus immer noch nicht auf dem Glasfaserausbau, sondern auf Behelfslösungen, die preisgünstig alte Kupferkabel weiternutzen, dafür aber nur geringe Bandbreiten liefern.
Wie es hätte laufen können, sieht man in Stockholm: Dort hatte man 1994 mit dem Glasfaserausbau begonnen und war 2013 damit fertig. Das dünn besiedelte Schweden hat heute einen Anteil von 73 Prozent Glasfaseranschlüssen, das Industrieland Deutschland liegt bei 4,7 Prozent (Stand Juni 2020, Angaben der OECD).
Die versäumte Zeit lässt sich nicht mehr so einfach aufholen. Die Unternehmen, die die erforderlichen Kabelkanäle graben können, sind spezialisiert und ihre Kapazität lässt sich nicht beliebig vergrößern. Erhöht man den Druck auf den Ausbau mit mehr Aufträgen oder stellt Gelder zur Verfügung, treibt das ab einem bestimmten Punkt nur noch die Kosten, ohne zusätzliche Kapazitäten zu schaffen.
Eine mögliche Lösung wäre, die Verlegung weniger aufwendig zu gestalten, etwa durch das sogenannte Trenching, bei dem beim Ausbau in einer asphaltierten Straße kein breiter Kabelkanal ausgehoben wird, sondern lediglich eine Furche in den Asphalt gefräst wird. In diese wird das Kabel verlegt und anschließend wird die Furche vergossen. Das geht schneller und ist billiger als konventionelle Verfahren. Viele Kommunen stehen dem Trenching-Verfahren aber kritisch oder ablehnend gegenüber, weil sie Schäden an den Kabeln befürchten. Ein Turbo für den Ausbau wird die geänderte Gesetzeslage deshalb wohl nicht.
Dass ein Gesetz zum Ausbau der Internet-Infrastruktur am Ende der Legislaturperiode auf den allerletzten Drücker zusammengestoppelt wird, ist symptomatisch. So verpasst Deutschland nicht nur den Anschluss an die Gegenwart. Die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen schon jetzt woanders.
Urs Mansmann, c’t-Redakteur
c’t Ausgabe 11/2021
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(uma)
Quelle: www.heise.de