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Gewitter im Ruby-on-Rails-Paradies: Basecamp laufen die Mitarbeiter weg

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Die Gründer von Basecamp und Ruby on Rails nach sich ziehen neue Governance-Richtlinien verkündet, woraufhin seitdem vorhergehender Woche ein Drittel dieser Mitarbeiter gekündigt hat.


    Gewitter im Ruby-on-Rails-Paradies: Basecamp laufen die Mitarbeiter weg

(Bild: Alessandro Pintus/Shutterstock.com)

Developer Von

  • Silke Hahn
  • Stefan Wintermeyer

Ende April haben Jason Fried und David Heinemeier Hansson, die Gründer und Geschäftsführer von Basecamp und dem E-Mail-Dienst Hey, neue Richtlinien zur internen Firmenkommunikation festgelegt: Ab sofort sollten Gespräche, die "auch nur im Entferntesten mit Politik oder gesellschaftlichen Themen zu tun haben", während der Arbeit bei Basecamp tabu sein, teilte Fried in einem Blogeintrag mit. Mitarbeitern, die damit nicht einverstanden seien, wurde die Kündigung nahegelegt und eine Abfindung angeboten. Langjährige Beschäftigte sollten eine Abfindung von sechs Monatsgehältern erhalten, neuere Beschäftigte drei Monatsgehälter.

Daraufhin quittierte binnen 48 Stunden etwa ein Drittel der Belegschaft von Basecamp (dem früheren 37signals) den Dienst, darunter auch altgedientes Führungspersonal: Mindestens 20 der 57 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilten auf Twitter und in anderen Kanälen mit, dass sie die Kündigung eingereicht haben.

Für Entwicklerinnen und Entwickler ist das insofern relevant, als das Unternehmen Basecamp nicht nur die gleichnamige Software für Remote-Arbeit und den E-Mail-Dienst HEY herausgibt, sondern federführend auch hinter dem Framework Ruby on Rails steht. David Heinemeier Hansson (alias DHH) ist nicht nur einer der beiden Firmengründer, sondern gilt auch als Erfinder des verbreiteten Frameworks zum Erstellen von Webanwendungen mit der Programmiersprache Ruby. Unter den Personen, die Basecamp nun verlassen oder bereits verlassen haben, befinden sich einige Mitglieder des Rails-Kernteams. Die Rails-Community zeigte sich seither in den sozialen Netzen verunsichert.

Am Anfang der vergangenen stürmischen Woche stand eine Namensliste, die firmenintern unter der Bezeichnung "Best Names Ever" offenbar seit 2009 geführt wird. Sie listet "besonders lustige" Kundennamen – lustig etwa im Sinne eines Bart Simpson, der Moe anruft und nach einem "Herrn Schnellsch" fragt. Der Konsens darüber, was als "lustig" gilt, hat sich seither jedoch verschoben: Was die damals vorwiegend weiße und männliche Belegschaft als komisch empfunden hatte, gilt heute in vielen Fällen als klar rassistisch. Da auch Basecamp im Laufe der Jahre diverser wurde, hatte sich firmenintern eine Diskussion zu der Liste entsponnen. Da Basecamp ein Unternehmen mit 100 Prozent Remote-Arbeit im Homeoffice ist, fanden die Diskussionen schriftlich statt – zwar nicht öffentlich, aber auf der Basecamp-Plattform. Der Inhalt der Liste ist nicht öffentlich bekannt, allerdings sollen die Firmengründer von ihrer Existenz und den Inhalten seit Jahren gewusst haben.

Die Mitte vergangener Woche ausgesprochene Neuausrichtung des Unternehmens geht über den Bann politischer und gesellschaftlicher Gesprächsthemen während der Arbeit hinaus und listet insgesamt sechs Punkte auf, in denen Fried und Hansson einen Managementwechsel vollziehen. Punkte 4 und 6 fordern die Belegschaft auf, sich von der Vergangenheit zu verabschieden und vergangene Entscheidungen ruhen zu lassen sowie das Lösen sozialer Probleme nicht mit der Arbeit zu vermischen. Der Bann politischer Gespräche betrifft Frieds Blogeintrag zufolge nur die offiziellen Arbeitskanäle. Privates Engagement und Austausch auf Messengerdiensten sowie privat genutzten Basecamp-Konten seien hingegen laut dem CEO der passende Ort. Die Ankündigung enthält weitere einschneidende Änderungen der Firmenpolitik gegenüber den Mitarbeitern. So sollen künftig alle "paternalistischen Vergünstigungen" und Zuschüsse für unter anderem Bildung, Sport, Freizeit entfallen, auch berufliche Meinungsbildung in Ausschüssen und Arbeitsgruppen ist offenbar nicht länger erwünscht, und die Entscheidungsfindung wird wieder bei den ursprünglichen Führungskräften der einzelnen Abteilungen zentralisiert (hauptsächlich bei Fried und Hansson selbst).

Basecamp ist nicht die erste US-amerikanische IT-Firma, die eine solche Regel einführt. Im September 2020 hatte Coinbase, ein Start-up zum Kaufen und Verkaufen von Kryptowährungen, politische Diskussionen während der Arbeitszeit untersagt und damit nicht einverstandenen Mitarbeitern einen Aufhebungsvertrag samt Ablösung angeboten. Bei Coinbase kündigten damals etwa 5 Prozent der Belegschaft. Die Größenordnung der aktuellen Kündigungswelle bei Basecamp mit einem Drittel der Angestellten geht deutlich darüber hinaus.

Mit seinen bis vor einer Woche noch rund 60 Mitarbeitern galt Basecamp bislang vielen Softwarefirmen weltweit als Vorbild. Die Büros in Chicago hatten früh auf Remote-Arbeit und Homeoffice umgestellt. Dabei wurden die Gehälter vereinheitlicht und es spielte keine Rolle, ob Entwickler günstig auf dem Land oder teuer in der Großstadt wohnten: In jedem Fall bekamen sie etwas mehr als das Durchschnittsgehalt für städtische Entwickler ausgezahlt. Fried und Hansson haben Bücher über ihre mitarbeiterfreundliche Strategie veröffentlicht, die teils zu Bestsellern wurden. Auch in Blogbeiträgen schrieben sie zu dem Thema mitarbeiterfreundlicher Führung.

Abgesehen von dem Vorbildcharakter, den Basecamp bisher hatte, sind diese Vorgänge in Deutschland wegen der starken Verzahnung mit der Ruby-on-Rails-Community relevant. Das Framework beruht auf David Heinemeier Hansson und Basecamp. Zwar gibt es eine Vielzahl externer Entwicklerinnen und Entwickler, aber letztlich fallen die wesentlichen Entscheidungen bei Basecamp, wo zahlreiche Core-Team-Entwickler von Rails auch arbeiten. Ihren Unmut taten einige von ihnen auf Twitter kund, was bereits Wellen schlägt. So sind erste Rufe nach einem Fork des Projektes laut geworden. Einerseits liegen zwar die Namensrechte bei Hansson, andererseits wäre ein Fork jedoch lizenzrechtlich kein Problem, da Ruby on Rails (RoR) der MIT-Lizenz unterliegt.

Es wäre auch nicht der erste Versuch einer Rails-Alternative: 2007 hatte der RoR-Entwickler Yehuda Katz mit Merb eine damals durchaus beliebte Alternative angeboten (die Wege des Forks führten nach drei Jahren erneut zurück in das Rails-Projekt, das die brauchbarsten Merb-Features als Merges übernahm). Anschließend widmete Yehuda Katz sich dem JavaScript-Framework Ember.js. Andere Versuche von in Ruby geschriebenen Rails-Alternativen konnten bislang keine wesentlichen Marktanteile gewinnen.

Das könnte sich nun ändern, und als möglicher Gewinner könnte das Phoenix-Framework des ehemaligen RoR-Entwicklers Chris McCord aus der angespannten Situation hervorgehen. Eine Reihe von RoR-Entwicklern haben sich in den letzten Jahren bereits Phoenix angeschlossen, das in der funktionalen Programmiersprache Elixir geschrieben ist, die als schneller und stabiler gilt als Ruby. Andererseits könnte aber auch Basecamp durch seinen als charismatisch geltenden Gründer David Heinemeier Hansson in kurzer Zeit neue Entwickler finden, die mit der neuen Kommunikationslinie keine Probleme haben, und in ein paar Monaten würde Gras über die Sache gewachsen sein. Alternativ könnten das als PR- und Marketing-Experten bekannte Führungsduo Fried/Hansson auch noch ein Kommunikations-Kaninchen aus dem Hut zaubern "und alles wird wieder gut". Bei Coinbase zumindest hatte der interne Richtungswechsel dem Unternehmen nach dem ersten Aufruhr Erfolg beschieden.

In einem aktuellen Blogbeitrag auf der RoR-Website hat das Core-Team inzwischen klargestellt, dass kein einzelnes Individuum (gemeint ist wohl David Heinemeier Hansson) alleinige Kontrolle über das Framework ausübt, auch keine Untergruppe von Einzelpersonen, sondern dass die Community für das Open-Source-Projekt im Vordergrund stünde. Neben dem Core-Team gebe es noch das Committer-Team für Merges in der Code-Basis und das Issues-Team zum Aussondern von Problemen und Mergen von Änderungen an der Dokumentation. Zurzeit besteht das Kernteam dem Blogeintrag zufolge aus elf Mitgliedern, von denen zwei Basecamp zuzuordnen sind. Die übrigen neun arbeiten bei GitHub, Shopify und weiteren kleineren Unternehmen.

Die Ankündigungen von Jason Fried und von David Heinemeier Hansson zu den organisatorischen Veränderungen innerhalb von Basecamp lassen sich in zwei Blogeinträgen nachlesen. Zu der neuen Firmen-Etikette hat sich Hansson in seinem eigenen Blogbereich bei hey.com vertiefend geäußert. Zusätzliche Quellen und weiterführende Hinweise bietet die aktuelle Berichterstattung der New York Times.

Das Web-Software-Unternehmen Basecamp wurde 1999 von Jason Fried und zwei weiteren Webentwicklern gegründet. Heutige Schlüsselpersonen im Unternehmen sind Fried und sein langjähriger Geschäftspartner David Heinemeier Hansson. Der Unternehmensfokus verschob sich von Webentwicklung auf Webanwendungen. Zu den Investoren von Basecamp gehört unter anderem der Amazon-Gründer Jeff Bezos. Die beiden Firmengründer sind nicht nur für Software bekannt, sondern nebenbei auch New York Times-Bestseller-Autoren (unter anderem mit dem Titel "Rework"), und Hansson stand als Rennfahrer nach dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans schon einmal auf dem Siegerpodest. In den vergangenen Jahren hat das Führungsduo sich bereits einige Male öffentlich und teils erfolgreich mit Apple angelegt.

(sih)

Quelle: www.heise.de

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