Instagram-Sucht im Gehirnscan sichtbar
Problematische Instagram-Nutzung lässt sich am Gehirn ersehen, behaupten Forscher aus Malaysia. Damit könnte die Liste anerkannten Sucht-Diagnosen wachsen.
c’t Magazin Von
- Stephan Schleim
Unter Psychologen und Psychiatern war lange Zeit Konsens, nur im Zusammenhang mit Substanzen wie Alkohol oder anderen Drogen von Suchterkrankungen zu sprechen. Die erste offizielle Ausnahme machten US-Psychiater, als sie 2013 Glücksspielsucht ("gambling disorder" in ihrem Diagnosehandbuch beschrieben. Begründet wurde das damit, dass Glücksspiel bei den Betroffenen ähnlich wie eine von außen zugeführte Substanz bei Drogenabhängigen das Belohnungssystem im Gehirn aktiviere.
2019 nahm die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Computerspielsucht ("gaming disorder" in ihr Diagnosehandbuch auf. Die zehnte Auflage des ICD (International Classification of Diseases) mit dem neuen Störungsbild soll ab 2022 in den Mitgliedsstaaten erscheinen. Kritische Stimmen bezeichnen diesen Schritt als übereilt.
Nun veröffentlichte ein Team um die Radiologin Nisha Syed Nasser von der Putra-Universität im malaysischen Serdang Hinweise auf eine Instagram-Sucht. Mit dem Kernspintomographen untersuchten die Mediziner die Gehirnaktivierung von Studierenden mit problematischem Instagram-Verhalten. Für die Untersuchung machten rund 1000 junge Erwachsene Angaben zu ihrem Online-Verhalten und beantworteten zwölf Fragen wie "Wie oft passiert es Ihnen, dass Sie länger auf Instagram bleiben, als Sie wollen?“. Die Studierenden gewichteten dabei ihre jeweilige Einschätzung von 1 bis 5. Wer insgesamt mehr als die Hälfte der erreichbaren Punkte erzielte, galt als gefährdet.
Kernspinaufnahmen ergaben Unterschiede in der Hirnaktivität intensiver Instagram-User gegenüber Gelegenheitsnutzern, besonders auffällig im linken und rechten Precuneus (rot), einer Region des Parietallappens im Großhirn.
Das Team um Nasser wählte mithilfe des Fragebogens 15 Personen mit problematischem Instagram-Nutzungsverhalten sowie 15 Kontrollpersonen aus. Diesen Teilnehmern zeigte es im Hirnscanner Instagram-typische Bilder. Per Knopfdruck konnten die Probanden ein Bild liken oder weiterklicken. Die Forscher beobachteten eine relativ starke Aktivierung des Belohnungssystems sowie eine Deaktivierung des Kontrollnetzwerks im Gehirn von Instagram-Nutzern mit Suchtverhalten, vor allem bei negativen Bildern. Diese zeigten Menschen in riskanten Situationen, etwa bei einem Selfie in gefährlicher Höhe, auf Eisenbahnschienen oderwährend sie beim Autofahren chatten. Aktivierungsunterschiede im linken Precuneus, einer Region des Parietallappens im Großhirn, erlaubten die Erkennung der Instagram-Sucht im Gehirn, so die Forscher.
Gemäß den Selbstangaben der Teilnehmer gab es deutliche Unterschiede zwischen beiden Gruppen: Die "Instagram-Süchtigen“ verwenden ihr Smartphone im Mittel 7,5 Stunden am Tag, davon 2,5 für den Foto- und Videodienst. Die Kontrollgruppe lag mit 3,5 Stunden Smartphone-Nutzung und bis zu einer Stunde Instagram täglich deutlich darunter.
Sucht und Ursache
Kritiker solcher Diagnosen wie Computerspiel-, Internet- oder jetzt sogar Instagram-Sucht weisen darauf hin, dass Menschen mit sozialen oder psychischen Problemen verschiedene Strategien anwenden, um negative Gefühle wie Langeweile, Angst oder Traurigkeit zu unterdrücken. Durch die Behandlung des Ausweichverhaltens könne der Arzt die eigentliche Problemursache übersehen. Die Gruppe mit dem problematischen Verhalten gab in der neuen Studie tatsächlich deutlich höhere Werte für Ängstlichkeit, Depressivität und Stress an. Ob dies Folgen ihres Online-Verhaltens oder umgekehrt dessen Ursache sind, bleibt unklar.
Die Studie der malaysischen Forscher sollte man nicht nur deshalb mit Vorsicht genießen. Ihre Stichprobe war sehr klein und nicht repräsentativ. Klein waren auch die Unterschiede der Gehirnaktivierung zwischen den Gruppen. Zur Erklärung des angeblichen Reizes der negativen Bilder passt nicht, dass diese seltener gelikt wurden als neutrale Fotos.
Die Aufnahme der Glücksspiel- und Computerspielsucht in offizielle medizinische Handbücher hat bereits gezeigt, dass sich mit dem dargestellten Argumentationsmuster neue Diagnosen begründen lassen. Das Forscherteam untersucht inzwischen Gehirnaktivierungen bei Facebook-Nutzern.
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(agr)
Quelle: www.heise.de