DVPM-Gesetz spart beim Datenschutz und digitalisiert die Pflege
Pflegeeinrichtungen sollen durch Apps statt mit Geld zu Gunsten von Personal unterstützt werden. Versicherte bekommen eine digitale ID mit wichtigen Gesundheitsdaten.
c’t Magazin Von
- Detlef Borchers
Das Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) hat den Bundestag passiert. Mit dem Gesetz wird die Gematik beauftragt, die elektronische Gesundheitskarte (eGK) durch eine elektronische Online-Identität abzulösen. Daten wie der Notfalldatensatz, die heute auf einer eGK gespeichert werden können, sollen in eine automatisch angelegte Patientenkurzakte wandern.
Gespart werden soll beim Datenschutz: Bislang nötige Datenschutzfolgeabschätzungen von Arztpraxen und Therapeuten entfallen und werden durch eine "zentrale Abschätzung im Gesetzgebungsverfahren" ersetzt. Diese Folgeabschätzungen müssen an die telematische Infrastruktur (TI) angeschlossene Praxen und Kliniken dann nur noch lesen und unterschreiben.
Durch die einmalige Entlastung spart das Gesundheitssystem nach Berechnungen des Ministeriums 731 Millionen Euro, zuzüglich jährlichen Einsparungen für Aktualisierungen und Änderungen der Folgeabschätzungen in Höhe von 548,5 Millionen Euro. Mehr noch: Auch die Pflicht zur Bereitstellung eines Datenschutzbeauftragten entfällt für die Niedergelassenen. Das sollen Kosten von 150 bis 600 Euro im Monat sein, die Ärzte mit einer Praxis nicht mehr zahlen müssen, was sich zur stattlichen Summe von 427 Millionen Euro jährlich addiert.
Ein Jubel über vermeintlich sinkende Versicherungsbeiträge wäre jedoch verfrüht, denn der im DVPMG geplante Anschluss der Pflege- und Rehabilitations-Leistungserbringer an die TI frisst einen erheblichen Teil der Ersparnisse wieder auf. Im Gesetz ist von 148.000 neuen Anschlüssen die Rede, die von den Pflegeversicherungen finanziert werden müssen. Setzt man die bislang erstatteten 3000 Euro pro Anschluss an, müssten die gesetzlich Versicherten dazu 444 Millionen Euro allein für die Erstanschlüsse stemmen. Angeschafft werden müssen dazu zunächst einmal Hardware-Konnektoren, von denen heute bereits feststeht, dass sie bald wieder ausgemustert werden.
Kurzakten für alle
Mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung wird nämlich auch die sogenannte TI-2.0-Infrastruktur gesetzlich verankert. Die Projektgesellschaft Gematik bekommt den Auftrag, einen "Zukunftskonnektor" als Software zu entwickeln und an Stelle der elektronischen Gesundheitskarte bis zum 1. Januar 2024 eine digitale Identität für alle gesetzlich Versicherten einzuführen.
Was bis dahin auf der Karte gespeichert wurde, wandert in eine elektronische Patientenkurzakte, nicht zu verwechseln mit der elektronischen Patientenakte. Die Kurzakte wird für jeden gesetzlich Versicherten automatisch angelegt und speichert Notfalldaten, Medikationspläne und Organspendeerklärungen. Ärzte und andere Leistungserbringer können die Daten online ohne Zustimmung des Patienten abrufen. Ob für Patienten ein Opt-out möglich sein wird, ist bislang unklar.
Hinzu kommen ein neuer Messenger-Dienst für die TI, Videokommunikation für Ärzte sowie Erweiterungen der Videosprechstunden für Patienten. Zudem investiert die Bundesregierung in digitale Pflegeanwendungen (DiPA), die beispielsweise Demenzpatienten beim Gedächtnistraining oder Angehörigen bei der Organisation der häuslichen Pflege helfen sollen. Bis 2025 sollen 130 Millionen Euro in die Entwicklung von DiPA fließen, die die bisherigen digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) ergänzen. Und damit Versicherte und Ärzte nicht den Überblick verlieren, wird für DiPA und DiGA ein "nationales Gesundheitsportal" für 9,5 Millionen Euro aufgebaut.
Mit all diesen Neuerungen ändert sich auch die Rolle der Gematik. Sie soll im Rahmen einer Rechtsverordnung die Stelle werden, die Standards setzt und überwacht – ähnlich wie es das BSI im Bereich der IT-Sicherheit macht.
Realitätsverlust
Einen Tag vor der Verabschiedung des DVPMG fand der 124. deutsche Ärztetag statt. Das "Ärzteparlament" schickte die Bitte an das Parlament, das gesamte Gesetzespaket abzulehnen: "Es besteht die Gefahr, dass durch die gesetzgeberische Geschwindigkeit die Anbindung zu den tatsächlich in der Fläche der Versorgung herrschenden Realitäten weiter verloren geht."
Statt einem Turbo bei der Digitalisierung wünschen sich die Ärzte vielmehr eine Abkehr von Fallkostenpauschalen sowie bessere finanzielle Unterstützung für das dezimierte und überlastete Medizin- und Pflegepersonal. Genutzt hat die Warnung der Ärzte vor dem Realitätsverlust jedoch nichts: Neben der Koalition aus CDU/CSU und SPD stimmten auch die Grünen für das neue Gesetz.
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(hag)
Quelle: www.heise.de